Ich habe Tina Dammel auf dem Hessischen Unternehmerinnentag kennengelernt, wo sie den Preis “Hessische Unternehmerin des Jahres 2023” auf der Bühne entgegennahm. Wir haben uns zu einem Interview verabredet – ich wollte unbedingt ihre Geschichte hören und vor allem erfahren, wie sie als Unternehmerin ihr Unternehmen führt.
Zusammen mit ihrem Mann, Jan Boese, leitet Tina das Unternehmen MediFit in Rüsselsheim. In vierzehn Jahren ist die Zahl der Mitarbeiter*innen von 15 auf 115 gewachsen, und sie betreiben heute ein ungewöhnlich großes Therapie- und Trainingszentrum, das zu einem der bedeutendsten Arbeitgeber in Hessen im Heilmittelbereich geworden ist.
Ein dienender Führungsstil
Tina ist eine starke, bodenständige Unternehmerin. Als ehemalige Handballspielerin ist sie eine Teamplayerin durch und durch und hat großen Respekt für ihre Mitmenschen.
Als ich sie nach ihrem Führungsstil fragte, antwortete sie mit “Dienende Führung” (auf Englisch “Servant Leadership”). Für Tina und Jan bedeutet Servant Leadership, dass sie die Wegbereiter für ihre Mitarbeiter*innen sind und deren Wohl immer an erster Stelle steht. Ihr Motto lautet daher: “Was kann ich für dich tun?” Sie möchten, dass die Mitarbeiter*innen ihr volles Potenzial entfalten können.
Tina ermutigt ihre Mitarbeiter*innen, eigene Entscheidungen zu treffen, und achtet darauf, dass es ihnen gut geht und sie sich wohlfühlen. Servant Leadership ist eine weltweit anerkannte Führungsmethode, und damit sind Tina und Jan ein sehr fortschrittliches Führungsteam. (*Es gibt ein Prolog zu diesem Thema am Ende des Artikels)
Ich wollte jedoch mehr über ihren persönlichen Führungsstil erfahren und es genauer wissen. Tina beschrieb sich selbst als “empathisch”, “zuhörend”, “reflektierend”, “vermittelnd”, “kooperativ” und “konfliktvermeidend”. Sie empfindet diese Eigenschaften sowohl als Segen als auch als Fluch. Bei personellen Angelegenheiten gerät sie manchmal in einen Konflikt – sie versteht die Mitarbeiter*innen und ihre Situation so gut, dass es eine Herausforderung ist, eine Lösung zu finden, die auch die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens stark berücksichtigt. In solchen Momenten ist sie dankbar, dass sie die Führung des Unternehmens mit ihrem Mann teilt.
Gleichberechtigte Führung
Sie erzählte mir, wie gut sie und ihr Mann sich ergänzen. Ihr Mann ist nämlich nicht konfliktvermeidend, besitzt mehr Leichtigkeit beim Treffen von schwierigen Entscheidungen und hat kein Problem diese auch zu kommunizieren. Beide empfinden dies als eine großartige Teamarbeit, in der jeder seine eigenen Stärken einbringt. Sie arbeiten gleichberechtigt zusammen.
Interessanterweise ist Tina der Meinung, dass ihr Unternehmen heute nicht so groß wäre, wenn Jan nicht dabei gewesen wäre. Er war immer zunächst derjenige, der auf Wachstum gedrängt hat. Angst vor Risiken hatten weder Tina noch Jan. Ein großer Beschleuniger ist, dass sie die Arbeit untereinander aufteilen, die Verantwortung miteinander teilen und sich gegenseitig stärken. Beide sind außerdem auch Sparringspartner füreinander.
Ich finde das sehr interessant. Frauen, die sich alleine selbstständig machen oder alleine ein Unternehmen gründen, sollten vielleicht solche Erfahrungen zumindest mitberücksichtigen.
Gleichstellung im Unternehmen als Selbstverständlichkeit
Therapie ist ein Berufsfeld, das überwiegend von Frauen dominiert wird, und das spiegelt sich auch bei MediFit Rüsselsheim wieder. Hier arbeiten mehr Therapeutinnen als Therapeuten, was dazu führt, dass es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, einschließlich eines höheren Anteils an Teamleiterinnen im Vergleich zu Teamleitern. Tina beobachtet, dass Frauen häufiger einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten. Sie achten darauf, was im Team benötigt wird und sind bereit, sich einzubringen. Bei MediFit Rüsselsheim ist es selbstverständlich, dass Frauen und Männer Elternzeit nehmen können, ohne dass dabei ein Unterschied gemacht wird. Dies resultiert aus der Unternehmenskultur, die neben Leistungsorientierung auch die Werte der Familie hochschätzt.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Unternehmerin
Tina und Jan haben eine Tochter. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt für sie zwar eine Herausforderung dar, aber kein unüberwindliches Problem. Als Unternehmerin hatte Tina keinen Anspruch auf Mutterschutz oder Elternzeit, sie musste sich einfach arrangieren.
Die beiden Unternehmer teilen sich die Haushaltsarbeit gleichmäßig untereinander auf. Aber wenn es zu der Organisation der Familie und der Tochter kommt, übernimmt Tina das gern. Diese Rolle hat sie nicht bewusst gewählt, sondern es ergab sich einfach so – „Mutterinstinkte“ meint sie. Obwohl es manchmal sehr anspruchsvoll ist, so viele verschiedenen Aufgaben gleichzeitig zu jonglieren, hat sie gelernt, sich bewusst auf die jeweilige Aufgabe zu konzentrieren, die gerade ansteht, und sich nicht ablenken zu lassen. Auf diese Weise gelingt es ihr, alles zu bewältigen. Unterstützung von ihren Eltern spielt dabei auch eine wichtige Rolle!
Tina findet jedoch, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Selbstständige und Unternehmer*innen, die Kinder bekommen, katastrophal sind, und wünscht sich mehr Unterstützung.
Stolz als Hessische Unternehmerin des Jahres 2023
Ich fragte sie, was der Preis als Hessischen Unternehmerin des Jahres 2023 für sie bedeutet. Wie viele Frauen hat auch Tina Schwierigkeiten damit, Lob und Anerkennung anzunehmen. Für sie ist das größte Lob, wenn sie positive Rückmeldungen von ihren Mitarbeiter*innen erhält. Wenn sie sieht, dass so viele Menschen gerne in ihrem Unternehmen arbeiten möchten oder dass ehemalige Mitarbeiter*innen zurückkehren und erneut bei ihnen arbeiten möchten. Dies ist für sie vielbedeutender als Lob. Dennoch bedeutet ihr der Preis sehr viel – er repräsentiert eine große Anerkennung für ihre Arbeit. Trotz ihrer Bescheidenheit ist sie stolz darauf.
Sichtbare Unternehmerinnen
Tina Dammel ist eine starke, kompetente Unternehmerin, die jeden Tag hart arbeitet und ihre Arbeit liebt. Sie legt großen Wert auf eine gleichberechtigte Führung mit ihrem Mann, bei der die jeweiligen Stärken ihrer Persönlichkeiten zum Tragen kommen. Die Mitarbeiter*innen in ihrem Unternehmen werden wertgeschätzt und fair behandelt, und Tina betont die Bedeutung von gegenseitigem Respekt und einem harmonischen Arbeitsumfeld.
Tina ist ein inspirierendes Vorbild dafür, wie Frauen mit ihren Werten und Kompetenzen die Unternehmenskultur und unsere Gesellschaft positiv beeinflussen können. Solche Frauen möchten wir bei 2030* sichtbarer machen, damit sie andere Frauen inspirieren und ermutigen, ebenfalls authentisch und selbstbewusst zu führen.
*Prolog
Nach meinem Gespräch mit Tina habe ich das Thema „Servant Leadership“ ein wenig recherchiert und stieß auf einen Artikel aus dem Harvard Business Review. Da hieß es, dass die Führungsmethode „Servant Leadership“ sich weiterentwickelt hat. Es heißt jetzt „Zielgerichtete Führung“ und bedeutet, dass Führungskräfte nicht mehr ihre Mitarbeiter*innen fragen „was kann ich für Dich tun?“ sondern eher „was können wir gemeinsam tun, um das Problem im Sinne der Organisation und unsere Ziele und Werte zu lösen?“. Diese Vorgehensweise bindet die Mitarbeiter*innen in der Lösungserarbeitung viel mehr ein und stellt sicher, dass die Lösung für alle gut ist und nicht nur für die einzelne Mitarbeiter*in.
Ich schickte Tina diesen Artikel zur Info – ich dachte, es würde sie vielleicht interessieren. Ein paar Wochen später bedankte sie sich bei mir dafür und erzählte, dass sie und ihr Mann sich den Artikel zu Herzen genommen und die Führungsmethode bereits übernommen haben. Sie meint, es hat bereits zu spürbaren positiven Auswirkungen geführt! Sie freute sich und ich mich natürlich auch. So stärken wir einander 😊
Teil von 2030*
Tina ist auch bei 2030* dabei. Sie schreibt: “Ich finde die Vision, Frauen in die Sichtbarkeit zu bringen, großartig und möchte Teil davon sein, den Verlauf der Geschichte neu zu schreiben.”
Wir freuen uns riesig, dass Tina unsere Vision und Mission unterstützt und dass sie sich für die Stärkung von Unternehmerinnen einsetzt. .
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